Aufbauend auf den bisherigen grundlegenden Überlegungen wird im folgenden spezifisch die Gestaltung und Inszenierung der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie kurz behandelt.
- Die Raumdramaturgien sollen und können eigentlich auch nicht passiv aufgenommen werden - die aktive Auseinandersetzung mit den thematisierten Erlebnisräumen ist das inhaltliche Ziel.
- Diese Auseinandersetzung stellt ein elementares Erlebnis, einen aktiven Selbstfindungsprozess dar.
- Die Erlebnisfunktionen sind in der Raumdramaturgie mit den Außenreizwirkungen verbunden, stellen wie bereits ausgeführt, Vorstellungsempfindungen, d.h. Projektionen erkannter Zusammenhänge in den Außenraum dar und geben damit das Konzept der Gestaltung und Inszenierung vor.
- Bei jeder Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie wird von uns ein eigenes, neues psycho-physisches Gestaltungsgesetz kreiert, ohne das dies uns bei der Inszenierung und Gestaltung bewusst wird, es ist Teil des ganzheitlichen schöpferischen Prozesses.
- Daneben greifen wir auch bewusst auf bekannte zurück, wie das Gesetz der Prägnanz, Konstanz, Figur-Grund-Beziehung, Gliederung, Geschlossenheit, Strukturierung u.a..
Die meisten Gestaltgesetze gehen von der Prämisse aus, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
- Daher wird Gestaltung auch speziell als Entwicklung von echten Gefühlen aufgefasst. Das ist ein komplexer schöpferischer Akt, der zusätzlich zur wissenschaftlichen Analyse hinzutreten muss.
Durch bloße Konstruktion werden Einzelheiten nur zusammengefügt, aber der ganzheitliche Charakter stellt sich nicht von selbst ein. - Aus einer AnsammIung von Teilen wie beim Mosaik eine Ganzheit und "lebendige" Gestalt entstehen zu lassen, geschieht durch einen eigentümlichen Vorgang, an dem nicht nur der Verstand und das manuelle Können, sondern vor allem auch Geist und Gefühl beteiligt sein müssen.
- Es soll etwas, was isoliert steht, durch einen kreativen Prozess zusammenwachsen. Eine immaterielle Gestalt soll mit der materiellen Wirklichkeit verschmelzen und dadurch sichtbar und empfindbar werden.
- Das ist zunächst einmal ein schöpferischer Konkretisierungsvorgang, denn konkret heißt "volle Wirklichkeit, Realität, auch "verdichtet, vergegenständlicht" und bezieht sich auf das Besondere im Allgemeinen.
- Das Gegenstück dazu ist abstrakte Gestaltung, bei der das Allgemeine im Besonderen verwirklicht wird. Ideen und unanschauliche geistige Gesetze können so ohne Berücksichtigung der speziellen Situation veranschaulicht werden.
Dafür lassen sich Proportionslehren, mathematische Ordnungen ganz unabhängig von der Qualifikation des gegebenen Zustandes anwenden. Sie können aber auch als Hilfsmittel zur Charakterisierung des besonderen herangezogen werden, sie nehmen Ausdruck an und wirken sich dynamisch aus. - Der ganzheitlich gestalteten und inszenierten Raumdramaturgie eine klare und wirksame Gestalt zu verleihen, ist im weitesten Sinne mit Kronkretisierung gemeint. Konkret bedeutet hier auch, in die Ganzheitlichkeit die Details psycho-physischen Forderungen gemäß einzuordnen, z.B. die wirkliche Sinnesempfindung zu berücksichtigen.
Das äußert sich bei der Gestaltung und Abstimmung von Luft, Licht, Farben, Helligkeiten, Materialien und betrifft ebenso die Frage, welche Objekte eingebracht werden. - Es ist sicher eine Vereinfachung und Reduktion, wenn wir die Besucher-Raumdramaturgie-Beziehung "lediglich" innerhalb des Begriffsrahmens Reizvolumen-Informationsrate der emotionale Grunddimension
- Annäherung - Meidung beschreiben.
Anderseits ist es ein praktikables, operationalisierbares Modell, das gerade bei der konkreten, zielgerichteten Gestaltung und Inszenierung der Mind Experience Raumdramaturgien von besonderer praktischer, trotzdem theoretisch und empirisch fundierter Bedeutung ist. - Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie lässt sich auch als Reizvolumen im Sinne der Informationsrate von Umgebungen beschreiben - reizstark vs. reizarm als Dimension.
Die Ermittlung des Reizvolumens der spezifischen Raumdramaturgien kann so mit einer Liste von Adjektivpaaren festgestellt werden:- gewiss - ungewiss
- abwechslungsreich - redundant
- komplex - einfach
- neuartig - vertraut
- großdimensioniert - kleindimensioniert
- kontrastreich - ähnlich
- dicht - spärlich
- lückenhaft - kontinuierlich
- ungewohnt - gewohnt
- heterogen - homogen
- überfüllt - leer
- asymmetrisch - symmetrisch
- nah - fern
- bewegt - ruhig
- selten - gewöhnlich
- zufällig - strukturiert
- unwahrscheinlich - wahrscheinlich u.a..
- Das Reizvolumen der Mind Experience Raumdramaturgie kann als Kombination der Neuartigkeit und Komplexität der Gestaltungs- und Inszenierungsmerkmale angesehen werden.
Mit diesen Dimensionen lassen sich auch Phänomene bzw. Bestimmungsgrößen der Raumdramaturgien wie
- abstrakt und konkret, Kontrast, Prägnanz, Übereinstimmung mit der "guten Gestalt", Ambivalenzen u.a. verknüpfen und wenn auch vereinfacht beschreiben.
- Das Reizvolumen stellt somit das Niveau der Ungewissheit dar, das die Raumdramaturgie auslöst. Je reizstärker die Raumdramaturgie ist, desto mehr Aufmerksamkeit schenken wir ihr (zumindestens anfänglich) - die dann erfolgende Suche nach Strukturen, Bedeutungsgebung reduzieren die Komplexität und damit auch das Reizvolumen.
- Wobei damit noch nichts über die emotionale und verhaltenssteuernde Bedeutung für den Besucher ausgesagt wird. Hierzu benötigen wir die Einführung der emotionalen Dimension, die vor allem darüber bestimmt, ob sich der Besucher der Raumdramaturgie vollkommen öffnet oder sich ihr verschließt.
- Die emotionalen Reaktionen der Besucher lassen sich letztendlich in ihrer Vielfalt nicht ausschöpfend beschreiben - andererseits scheinen ihnen gewisse Grunddimensionen zugrundezuliegen, mit deren Hilfe sie sich dimensional unabhängig beschreiben lassen, um u.a. eben auch die Wirkungen der Mind Experience Raumdramaturgien abschätzen zu können.
Solche Grunddimensionen sind:
- Erregung - Nichterregung
- Lust - Unlust
- Dominanz - Unterwerfung.
Zur Erfassung konnotativer Bedeutungen:
- Bewertung
- Anreiz
- Aktivierung
- Antrieb
- Potenz
- angenehm - unangenehm (Bewertungsaspekt)
- Annäherung - Vermeidung (Verhaltensaspekt)
- Aktivierung (Erregungsaspekt).
Die Umsetzung der Reize und Impulse der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie ist dabei Sache der Konfiguration des Reizfeldes, also der "sinnhaften Objektbeziehungen", d.h.: der
- Anordnung
- Struktur
- Umgebung
- Akzentuierung und
- Prägnanz.
- Beteiligte Empfindungskomponenten, die die Beziehung Besucher-Raumdramaturgie prägen, führen im Zusammenspiel zum ganzheitlichen Erleben des Raumes.
- Raumdramaturgie muss diese Komponenten anregen und mit entsprechenden Gestaltungsmitteln zielgerichtet und bewusst zur Wirkung bringen. Dabei erscheinen einige allgemeine Prinzipien und Einflussfaktoren von besonderer Bedeutung:
- Eine besondere menschliche Eigenart ist es, Kontraste zu suchen. Zu Kontrasten zählen sowohl Gegensätze, die sich ausschließen, als auch Polaritäten, einander bedingende Gegensätze.
- Kontraste sind notwendig, da sie das Leben nicht nur interessant machen, sondern in vielfacher Hinsicht Kräfte freisetzen.
- Sie müssen in der Außen- und auch in der Vorstellungswelt, im seelischen wie im körperlichen Bereich vorhanden sein.
Ambivalenz gilt es also nicht etwa zu vermeiden, sondern in bestimmter Weise zu fördern.
- Bei der Gestaltung der Erlebnisräume, etwa durch Kontrapunkte im Optischen wird die Neigung zur Doppelwertigkeit der Empfindungen ausgeschöpft.
- In Polaritäten (Auseinandertreten und gleichzeitiges Verbinden von Gegensätzen) sind Kontrast und Einheit zugleich veranlagt. Sie sind in ihrer Doppeldeutigkeit und Ambivalenz besonders hervorzuheben.
- Daraus ergibt sich für jede Einzelempfindung, gleich, ob sie aus einer reinen Sinneswahrnehmung oder aus mitmenschlichen Anstößen stammt, eine "Doppeldeutigkeit", d.h. Ambivalenz. Prägnanz im Sinne der Figur-Grund-Wahrnehmung sind Kontraste (Gegensätze und Polaritäten), die zur Reizstärke beitragen und Interesse wecken.
- Prägnanz ist aber auch Voraussetzung für die im Erleben so wichtigen "synästhetischen Wirkungen", ohne die die Raumdramaturgie keine ganzheitliche Wirkung entfalten könnte.
- Prägnanz bedeutet die charakteristische Heraushebung spezifischer Wirkungselemente. Dadurch gebunden werden
- Sympathie - Antipathie
- Lust - Unlust
- Zuneigung - Abneigung.
- Der Mensch muss das Reizbild mit seinem eigenen Wesen, d.h. mit seinem Charakter konfrontieren. Dieser äußerst wichtige Vorgang ist für das Verstehen des Kunstwerkes, für das situative Wohlbefinden mit entscheidend.
- Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie ist Kommunikation durch Konfusion als dramaturgisches und künstlerisches Mittel, die dem Empfänger bewusst in einen Zustand latenter Ungewissheit und Instabilität versetzt.
- Nach anfänglicher Lähmung und Hemmung, aufgrund großer Reizstärke löst dies bei dem Besucher eine sofortige Suche nach Anhaltspunkten und Strukturen aus, zur Klärung innerer Ungewissheit und des damit verbundenen Unbehagens.
Die Wahrnehmung kleinster Einzelheiten und scheinbarer Nebensächlichkeiten wird so geschärft.
Damit werden weniger reale Informationen übermittelt, sondern die Botschaften über bestimmte Wirklichkeitsauffassungen. Denn Paradoxien sind universal und beeinflussen unsere Wirklichkeitsauffassung. - Die Raumdramaturgie regt dabei dem Erlebnisraum-Besucher an, Ordnung in scheinbare Unordnung zu bringen, wobei der Erlebende immer hierfür auch selbst eine gegenseitige Basis für die Kommunikation zwischen ihm und der Raumdramaturgie finden muss, was ihm zu wirklich tiefgreifenden Erkenntnissen über seine subjektive Wirklichkeit bringen kann, ihn anregt, feste Ideologien zu lockern bzw. aufzugeben, mit relativen Wahrheiten zu leben, und damit mehr Erkenntnistiefe über komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu entwickeln.
- Wichtig erscheint dabei aber auch, dass ein zu hoher Grad an Konfusion ohne (dramaturgische) Hilfestellung zur Strukturierung und Bedeutungsgebung zu vermeiden wäre, da bei starker Unlustbetonung des Konfusionserlebens eher mit einer Meidung, denn mit wirklicher innerer Auseinandersetzung zu rechnen ist.
Eine Verfestigung gewohnter Erlebens-, Reaktions- und Verhaltensmuster wäre dann eher zu erwarten.
- Gestaltung und Inszenierung der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie ist "lebendig" im Sinne von "anschaulich" oder "bewegt". Ist sie zu starr, so überwiegt der konstruierende Anteil, ist sie zu dynamisch, so wird er schwer fassbar und erscheint aufgelöst.
- Die künstlerische Formgebung des Erlebnisraumes ist demgemäß weder bloßes Machen, Konstruieren, Werken und Zusammenfügen allein, noch Versinnbildlichen, Ausdruckgeben und spielerisches Sich-Selbst-Darstellen, sondern ein sehr tiefgehender schöpferischer und kreativer Gestaltungsakt.
- Konkrete Gestaltung bedeutet, der ganzheitlich gestalteten Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie eine klare und wirksame Gestalt zu verleihen, was sich auch direkt manifestiert bei der Gestaltung und Inszenierung von
- Raum, Objekten, Materialien, Farbe, Licht, Luft und Subjekten.
Ziel ist die Ausdrucksverleihung durch Integration innerpsychischer VerhäItnisse mit Kräften des Außer-Seelischen in den Reizen der Raumdramaturgie. Dabei werden die bekannten Gestaltungsgesetze genutzt wie
- Prägnanz
- Konstanz
- Figur-Grund-Beziehung
- Gliederung
- Geschlossenheit
- Strukturierung u.a..
- Dies stellt einen komplexen schöpferischen Akt dar. Bei der abstrakten Gestaltung soll vor allem das Allgemeine im Besonderen verwirklicht werden, Ideen und geistige Inhalte werden veranschaulicht - überwiegend Verstand und Bewusstsein angesprochen.
Informationen werden optisch durch viele verschiedene Zeichen mit bestimmten sehr unterschiedlichen geistigen Inhalten aufgenommen. Die Bedeutung dieser Zeichen und ihre Zuordnung ist aus der Erfahrung in dem Raum, vielfach aber auch durch historische Tradition, Sitte und Gebrauch entstanden. Diese Erfahrungen werden bei den Mind Experience Raumdramaturgien in Frage gestellt, um sie dadurch neu zu erfahren.
- Die Gestalt-Zeichen sind wesentliche Elemente der Mind Experience Raumdramaturgien - die unbewusste, intuitive und bewusste Lesbarkeit und Deutung der Zeichen als künstlerische Zielsetzung.
Die Les- und Überschaubarkeit der Raumdramaturgie wird ermöglicht und gesteigert durch die Einfügung von besonderen Bezugspunkten und bestimmten Merkzeichen:
- Überbetonung
- Bilder
- Farben
- Schriften
- Raumgliederungen
- Ein- und Ausgänge.
Neben Bezugspunkten werden als dramaturgische Mittel bei der Gestaltung und Inszenierung außerdem eingesetzt
- Bezugslinien und
- Bezugsstrukturen
- Das Aktions- und Bewegungsziel braucht dabei nicht immer gesehen werden, man hat die Information intuitiv.
Funktionsbrennpunkte bzw. Bezugspunkte, die angehäuft auftreten, können auch der Orientierung dienen. Durch Symbolisierung werden dabei Schwerpunkte als Bezugspunkte optisch markiert werden. Symbole werden mit Objekten verbunden.
- Stets besteht eine intensive Beziehung zwischen der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie, seiner Gestaltung und Inszenierung = der künstlerischen Zweckgebundenheit und den Besuchern.
- Sie kann optisch bzw. durch gezielte Betonung der Gestalt verändert werden. Die Beziehungsfelder sind dabei sowohl:
- personenbezogene
- gesellschaftsbezogene
- kulturellbezogene und
- analogbezogene Merkmale.
Für die konkrete Gestaltung und Inszenierung der Mind Experience Raumdramaturgie unter Beachtung der vorher dargelegten theoretischen Überlegungen werden unter anderem folgende Gestaltungskategorien herangezogen und in ihrer Bedeutung neu definiert.
Dies stellt wie bereits erwähnt einen schöpferischen Akt dar, der mehr ist und auch sein muss als eine bloße Aneinanderreihung von Einzelmerkmalen:
- Raumgröße - Ausdehnung, Verhältnis zum Menschen
- Raumform - Gestaltung, Form
- Raumproportion - AusdehnungsverhäItnis
- Raumrichtung - Bezug zum Standpunkt
- Raumgrenzen - Boden, Wände und Decke
- Raumbelichtung - Tag- oder Kunstlicht
- Raumfarbe
- Raumakustik - Nachhall
- Raumluft - Luftwechsel, Temperatur, Staub und Geruch
- Raumerschließung - Wegführung
- Raumeinrichtung - Objekte
- Raumteilung
- Raumanbindung - Außenwelt
- Raumverbindungen - Nachbarräume
- Raumfolgen - Reihungen
- Raumzusammensetzung - andere Räume
- Raumdurchdringung - Objekt-, Subjektbezug
- Raumkopplung - Vorraum.
Dazu kommen noch
- optische Sichtweiten - Objekt-, Subjektbezug
- sprechakustische Verstehensgrenzen - Objekt-, Subjektbezug
- Bewegungsfreiheit und -dynamik - aber auch
- objekt- und subjektbezogene Behinderungen sowie
- soziale Kontakte und Interaktionen spielen eine wichtige Rolle.
Ulrike Ertel, Henner J.H. Ertel, München, März 1989