Bevor wir das von uns entwickelte neue Multimedia-Kunstkonzept Mind Experience (Mind = Sinn, Gemüt, Geist; Experience = Erfahrung, Erlebnis) in seiner konkreten Gestaltung und Inszenierung im Sinne einer metakommunikativen Raumdramaturgie geographisch gegebener und frei definierter, konzentrischer, parazentrischer und multizentrischer Erlebnisräume behandeln, wollen wir im folgenden zunächst einmal eine allgemeine Einordnung und Begriffsbestimmung innerhalb des Komplexes "Besucher-Raumdramaturgie-Interaktion" vornehmen.
Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie ist bezüglich ihrer theoretischen Einbettung, ihrer Funktion als Untersuchungsgegenstand der Kunsttheorie und im weiteren auch der Umweltpsychologie zuzurechnen.
- Dabei wird die Raumdramaturgie in einem ökologischen Ansatz nicht auf physikalische Reize reduziert gesehen, sondern als "konkret erfahrbares, erlebbares Umherum" konzipiert.
- Dieser phänomenale Kunsterlebnisraum beeinflusst das Erleben, Reagieren und Verhalten des Menschen - aufbauend auf seine räumliche, materielle und imaginäre Beschaffenheit.
- Mind Experience ist somit eine Erlebens- und Verhaltenskunst. Die Empfindungen der Entwicklung und des Wandels, des Leichten, der Lust und Expansion, der Extraversion und Intensität, der Aktivität, der Dauer und Erhöhung, der Schwere und Spannung, der Verinnerlichung, Introversion und Tiefe, der Passivität und Sensibilität ausIöst.
- Die Raumdramaturgie, wie sie dem Besucher erscheint, wird somit quasi zum Spiegel seiner ganz persönlichen Wünsche, Eigenarten, Bedürfnisse, Erwartungen und Ängste, d.h. im Erleben der Raumdramaturgie äußert sich immer auch die Persönlichkeit des Besuchers.
- Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie kann nie unabhängig vom wahrnehmenden, erlebenden und sich verhaltenden Kunstbetrachter gesehen werden.
Die grundlegenden Überlegungen zur begrifflichen Einordnung der Raumdramaturgie in die Thematik "Besucher-Kunstwerk-Beziehung", im Sinne der Interaktion des Betrachters mit dem Kunstwerk über Wahrnehmungs-, Bewusstseins-, Empfindungs- und Verhaltensprozesse, und darum geht es letztlich, wenn wir uns mit der Raumdramaturgie und deren Gestaltung und Inszenierung beschäftigen, sollten deutlich machen, dass sowohl eine theoretische Diskussion als auch Überlegungen zur Gestaltung und Inszenierung der Raumdramaturgie, immer auch individualpsychologische, soziale und gesellschaftspolitische Konzepte von uns einbezogen werden.
- Hauptziel der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie ist das Vermitteln eines ganzheitlichen Raumerlebnisses, gewissermaßen ein dramatisiertes Gestalten und Inszenieren von Ideen, Symbolen, Objekten und Räumen.
Dabei ist jedes Gestaltete mit Symbolen, Objekten und Raummerkmalen auf verschiedene Art gekoppelt, weist stets eine Binnengliederung auf und ist vielseitig deutbar, da es nach vielen Seiten hin orientiert ist. - Die Raumdramaturgie ist Träger von Zeichen, ist Zeichensetzer und Übermittler von sehr vielschichtigen unbewussten, vorbewussten und bewussten Informationen und Aussagen.
- In ihr symbolisiert sich für den Besucher nicht nur seine eigene Lebensbasis, sondern auch die geistig-kosmische Welt. Er findet in ihr Lebensziele und seine Leitbilder verwirklicht. Als einen Art Mikrokosmos kann die Raumdramaturgie Spiegelbild des unerschöpflichen Lebenssinnes sein.
- Undurchschaubare Aspekte und Hintergründe individualpsychologischer, sozialer und gesellschaftspolitischer Fragen zu thematisieren, vorzuzeichnen und bewusst zu machen, ist die polare Aufgabe der Raumdramaturgien. - Kunst mit gesellschaftspolitischen Zielsetzungen.
- Die eigentliche Wurzel der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie und der konkreten Gestaltung und Inszenierung liegt in der Ausdrucksverleihung (Integration) bestehender innerer Verhältnisse oder latenter Kräfte des Außer-Seelischen.
- Den seelischen Beziehungen zwischen den Besuchern sowie zwischen Besucher und Raumdramaturgie wird ein angemessener expressiver Rahmen für eine geistig-seelische Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt gegeben.
- Das soziale Reizklima der Raumdramaturgie wird sich dabei gewissermaßen am Rande der Psyche auswirken, wird sinnesmäßig nur vage wahrgenommen und höchstens vorbewusst empfunden.
Es existiert vor allem in der Schicht des Seelischen, die sich in Gesten, Gebärden, Haltungen, Kleidung, körperlichen Ausdrucksmerkmalen u.v.a. der Mitbesucher, die an der Raumdramaturgie teilnehmen, widerspiegeln.
Diese soziale Empfindungswelt besteht aus vielen bewussten, vorbewussten und unbewussten Eindrücken. Es sind immer nur Impulse, signalartige oder symbolische Wahrnehmungsregungen, die nie ganz mit der Wirklichkeit übereinstimmen. - Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie soll als Ganzes zum Erleben und zu Aktionen auffordern. Nimmt man beide Daseinsformen als wichtige Polaritäten, so kann man sagen, dass die Raumdramaturgie Anreiz zum einen wie zum anderen, zur Ruhe und zum Genießen einerseits, zur tatsächlichen Kontaktnahme mit der menschlichen und dinglichen Realität andererseits bietet.
- Die Inhalte der Raumdramaturgie werden nicht nur benutzt, sondern auch in irgendeiner Form z.B. sinnhaft "einverleibt". Denn man kann keine tiefgehenden Kunsterlebnisse für Besucher schaffen, die nur in sich
selbst ruhen, sie müssen immer auch innere Beteiligung und Aktionen entfalten.
Der Erlebnisraum, das Aktionszentrum der Mind Experience metakommunikativen Raumdramaturgie ist Form, ohne aber Formkraft zu besitzen. Er ist das Leere, aber nicht das Nichts, nicht das Neutrale, sondern die Wirklichkeit als Sphäre und Rahmen repräsentiert.
Eine solche Auffassung geht über die geometrische Definition des Raumes hinaus, nach der der "Raum" die Beziehungen zwischen einer Menge von Punkten genannt wird. Für die Bestimmung der Raumdramaturgie als Ordnungs- und Koordinatensystem ist dies nicht mehr ausreichend. Dafür müssen wir das Orientierungsprinzip erweitern:
- Erlebnisraum der Raumdramaturgie ist die geographisch orientierte Sphäre des jeweils Gegebenen und damit eine Art System von Körpern. Hiermit wird der Ganzheitsbegriff von neuem berührt und die Raumdramaturgie als der Prototyp der reinen Funktionen, die ja alle über ihre Teilbereiche auf Ganzheiten ausgerichtet sind, angesehen.
Dabei braucht der Erlebnisraum bei der Mind Experience Raumdramaturgie nicht einmal als gebaute Umhüllung verstanden werden, es reicht z.B. aus, wenn er durch irgendwelche Definitionen oder Markierungen beschrieben oder gekennzeichnet ist. Es kommt hier nur auf den Nachweis der Objektivität von Erlebnisraumfunktionen an.
Dieser besteht nicht nur darin, dass der Erlebnisraum bei der Raumdramaturgie Stoffe und Kräfte aufnehmen kann, sondern auch darin, dass es ihn als eine Kategorie der Wirksamkeiten gibt.
Die Frage muss also lauten:
- Ist der Erlebnisraum objektiv gegeben oder übertragen wir hier nicht nur unsere Empfindungen und Bedürfnisse auf die Außenwelt?
Wenn in der gegenständlichen Welt, in der künstlerischen Auseinandersetzung durch bloße "Setzungen" Erlebnisraum entsteht, so könnte es scheinen, als würden wir die sich ergebenden Linien und Begrenzungen nur in unserem Denken als Erlebnisraum auffassen.
Abgesehen davon, dass das Denken durchaus auch eine objektive Seite hat, ist diese Erlebnisraummarkierung bzw. -definition aber schon dadurch nicht subjektiv, da sie ja objektive Beziehungen schafft.
Es ist ja nicht zu fordern, dass eine Markierungslinie in einem Feld von allen Menschen als Erlebnisraumbegrenzung angesehen werden muss, vielmehr stellen die Zeichen dadurch Signale dar, dass sie nicht für andere Funktionsbereiche zu verwenden sind.
So kann ein solches Markierungszeichen auch für die Gegenstandswelt wichtig sein oder der Ordnung dienen; aber erst, wenn die anderen Aufgaben es nicht überwiegend beanspruchen, ist es in der Lage "Merkzeichen", d.h. bestimmendes Erlebnisraumsymbol zu werden.
- Die Erlebnisraumfunktion der Raumdramaturgie gehört einer Wirklichkeitskategorie an, die nicht physikalisch erforscht werden kann, sondern metaphysisch, im erweiterten Sinne ontologisch ist.
- Die Mind Experience metakommunikative Raumdramaturgie ist eine in allen Erscheinungen auf spezifische Art wirksame "Macht", aber keine Kraft, auf Bewegungsbegrenzung, Differenzierung, Strukturierung und Orientierung bezogen.
Ulrike Ertel, Henner J.H. Ertel, München, März 1989